Autor: Christian Druxs
Der Roman behandelt die verzweifelte, männlich-subjektive Wahrnehmung der Lebens- und Beziehungswelt zwischen Frau und Mann in einer Zeit des Postfeminismus.
In Zerrbildern und Flashbacks nimmt der Protagonist sein vergangenes Leben wahr, während er mit einer Frau schläft, die ihm eigentlich nichts bedeutet, leugnet dabei die Existenz der Wahren Liebe und reflektiert sein verzweifeltes Leben, seine Unzulänglichkeiten und die Unbill, die ihm widerfahren ist.
Dabei kommt er immer tiefer ins Philosophieren und versucht Halt zu finden, um sein weiteres Leben in den Griff zu bekommen. Er taucht tief in sein Unterbewusstsein ab, hat dort erstaunliche Begegnungen, die in der Realität ihre Entsprechung finden und kommt sogar zu einem erstaunlichen und überraschenden Resümee …
Ab hier fängt es an, wehzutun, bitte hör auf damit, sonst sterbe ich!“
Doch auch ich hatte anscheinend irgendwo ein Lindenblatt auf mir, der diesen Panzer löchrig machte, wodurch nicht Hagen, sondern Dietmar, gedungen durch meine geliebte Frau, gnadenlos vollstecken konnte.
So saß ich also, der Superstar per definitionem durch andere, im Kreis mit den übrigen Aggressionsseminarteilnehmern. Laufend kamen neue hinzu, die sich still durch die im Aufgehen knarrende Türe schlichen und in Socken oder verfilzten Hüttenschlappen über den knirschenden alten Parkett mit einem leisen „Entschuldigung!“ auf eines der freien Sitzkissen huschten. Wie bei allen Seminaren (sei es nun zum Thema Marketing, Weltfrieden oder eben Aggression) begann der Reigen mit einer Vorstellungsrunde, in der jeder seine Lebenssituation schilderte, nachdem er seinen Namen genannt hatte.
Die Gruppe bestand natürlich überwiegend aus Frauen im Reste- Alter, die sich wie Bildungsjunkies von einem Lebensseminar zum nächsten hantelten, um endlich die Erleuchtung zu erfahren oder sich vom Kursleiter schwängern zu lassen. Die ersten vier oder fünf hielten sich bei ihren Schilderungen noch recht bedeckt, weil sie ja nicht wussten, wie weit sie mit ihrer Offenheit gehen konnten. Bis dann eine hübsche Blonde mit Wuschelkopf und strahlendem Lächeln zu Wort kam. Sie strahlte noch, als sie sich vorstellte und ihren beruflichen Background darlegte. Als sie aber mit ihrer Geschichte begann, erfror ihre Miene.
„Mein Leben nahm eine bittere Wende, als ich fünf wurde und mein Stiefvater in mein Leben trat. Er war ein schwerer Alkoholiker, aber meine Mutter entwickelte eine magnetische Liebe zu ihm. Wahrscheinlich glaubte sie, ihn retten zu können. Bis zuletzt schien sie davon überzeugt zu sein, es schaffen zu können. Erst als er starb, gab sie sich und dieses aussichtlose Unterfangen auf. In den neun Jahren, in welchen ich als Kind das miterlebte, fühlte ich, dass ich der Puffer zwischen den beiden sein musste, weil er sie gottlos schlug, wenn er betrunken war. Ich versuchte, ihn immer von ihr abzulenken. Oft schickte er mich mitten in der Nacht zum Gasthaus, um ihm Alkohol zu besorgen, wenn er nichts mehr zu saufen hatte. Ich hatte so große Angst, im Finsteren zu gehen. Und es war mir immer so peinlich, den Wirt um Wein und Schnaps zu bitten, obwohl ich ja kein Geld mitbekommen hatte, weil keines da war. Aber ich war mit meiner kindlichen Naivität immer in der Lage, ihn zu überreden. Und immer brachte ich Nachschub nach Hause, der die Stimmung nur noch bitterer und die Schläge noch härter machten. Nüchtern, in den kurzen Trinkpausen, weinte der Stiefvater immer und betonte, wie leid es ihm täte, dass ihm immer die Hand ausrutsche. Sein Leben sei so verzweifelt und er käme aus dem Strudel einfach nicht heraus. Wenn er dann aber wieder betrunken war, ging alles erneut von vorne los und wurde stets schlimmer. Ich war immer in der Küche an der Reihe. Ich hatte auf der Küchenbank den Platz in der Ecke. Ich war gerade so groß, dass ich mit Kopf und Schultern über die Lehne der Küchenbank ragte. Wenn mich dann abwechselnd links und rechts seine Fausthiebe im Gesicht trafen, schleuderte die Wucht meinen Kopf gegen die Wände, wo zwei riesige Flecken aus meinem Blut und meinen Tränen über Jahre hinweg zu sehen blieben. Meine Mutter versuchte zwar, die Dramenreste mit einem feuchten Tuch und einem Wandradiergummi wegzuwischen, aber sie blieben sichtbar. Noch jahrelang. Auch einiges später, als ich dann die Wohnung von meiner Mutter erbte, konnte ich dutzendfach darübermalen, die Mahnungen meiner Vergangenheit kamen nach dem Trocknen der Farbe aber doch immer wieder durch.“
Als sie mit ihren Ausführungen endete, waren alle nicht nur sprachlos. Wir hatten sogar aufgehört zu atmen. Nur hin und wieder hörte man den Parkettboden knacksen oder draußen ein Auto vorbeifahren. Ich blickte mit tränengefüllten Augen aus dem Fenster, sah auf der anderen Straßenseite die gegenüberliegende Hausfassade im Stil der Gründerzeit im Sonnenlicht. Darüber ein ganz schmaler Streifen blauer Himmel. Ich konzentrierte mich auf die Fensterfront und die sich darin spiegelnden kleinen Wölkchen, um nicht haltlos zu heulen und an die großen, blauen Augen und den blonden Wuschelkopf des süßen, kleinen Mädchens denkend aufzuspringen und zu schreien: „Ich bring das Schwein um!“ Aber es war ja schon tot.
Nach einer endlos scheinenden Pause räusperte sich der sichtlich betroffene Seminarleiter und sagte: „Du musst die Dinge mit deinem Stiefvater ins Reine bringen. Du musst die Erlebnisse mit ihm gerade biegen und ausgleichen. Erst dann bekommst du dein Leben wieder zurück, auf das du ein Geburtsrecht hast. Erst dann werden deine Begegnungen und Beziehungen nicht mehr dem Muster folgen, dass du das Opfer bist, dass du dich verantwortlich fühlst, negative Stimmungen harmonisieren zu müssen, mit allen dir zu Gebote stehenden Mitteln eines Opfers.“
Er stand auf und gab ihr zwei riesige Keulen, an denen dick gepolsterte Enden waren. An den Griffhölzern befanden sich Schlaufen, durch die man je eine Hand stecken konnte, die, dadurch geschützt und fixiert, fest mit dem Schlaginstrument verbunden war. Ungeschickt nahm sie die beiden für sie viel zu großen entschärften Waffen und folgte seinen Anweisungen, wie sie diese mit ihren Händen verbinden sollte. Wie ein Slapstickmännchen stand sie nun mit hängenden Schultern in der Mitte des Raumes und Tränen kullerten über ihre Wangen.
Er ließ sie eine kurze Zeit so stehen, bis er zu ihr sagte: „So, und nun suche dir aus unserer Gruppe der Anwesenden einen aus, der deinen Stiefvater darstellt!“ – In dieser Sekunde schwand meine tiefe Betroffenheit und wurde zur Panik: „Bitte nimm nicht mich!“ – dachte ich noch nicht zu Ende, als sie ihren Blick hob und mit einer Keule in meine Richtung deutete.
Ich spürte die Blicke der Anwesenden auf mir und glaubte ihre unausgesprochenen Worte zu hören: „Ha! Nun werden wir ja mal sehen, was dieser Mister Superstar jetzt tun wird!“ – Er erhob sich. – Ich erhob mich, ganz und gar nicht Superstar. Gerade noch in der Rolle des gerechten Rächers des kleinen Mädchens an ihrem Stiefvater, jetzt selbst Opfer. Ein scheiß Gefühl. Auch ich bekam zwei Keulen und so standen wir uns, keine zwei Meter voneinander entfernt, gegenüber. Die Kleine mit den viel zu großen Bibo-Wattestäbchen und ich, der Fremderkorene, das auszugleichen, was ein anderer an ihr verbrochen hatte.
Wie aus weiter Ferne hörte ich den Seminarleiter zu ihr sagen: „So, jetzt sage deinem Stiefvater alles, was du ihm damals nicht sagen konntest, schrei es heraus und verdrisch ihn, so wie er dich verdroschen hat. Hör erst auf, wenn du meinst, dass es genug ist!“ – Sie blickte mich aus tieftraurigen Augen an und erwiderte: „Das kann ich nicht!“ – Streng und energisch befahl der Seminarleiter: „Tu’ es!“ Und er wiederholte das Gesagte drei oder vier Mal. Plötzlich bemerkte ich, wie sich ihr Blick und ihre Miene veränderten. Ihr Gesicht wurde hart und aus den Augen funkelte der blanke Hass. Ein Blick, den ich schon einmal gesehen haben musste, denn er kam mir bekannt vor. Es war der Blick meiner Exfrau, als sie beschlossen hatte, alle Register zu ziehen, um mich zur Räson zu bringen. Als sie, beraten von guten Freundinnen und Alliierten, beschlossen hatte, mit allen Mitteln – rechtmäßig oder unrechtmäßig – mein Firmenvermögen aufzudecken, alle Bankfilialen anzurufen, die Kontakte des Anwalts dafür zu nutzen, ihm das arme Mädchen, die verlassene, geschmähte Frau vorspielend und ihm gleichzeitig den Dampf ihrer Vulva wittern lassend, um ihn zwischen väterlichen Schutzgefühlen und männlichen „Die will ich ficken!“-Gedanken gefügig zu machen. Als sie daran gedacht hatte, irgendwelche strafrechtlich relevante Tatbestände zu erfinden, um mich zu vernichten. Als sie überlegte, ob sie nicht gegen einen Kasten oder Türstock rennen solle, um zu behaupten, ich habe sie geschlagen, oder sich mit einem vorgetäuschten Nervenzusammenbruch in die psychiatrische Klinik einliefern zu lassen. – Und als ich meinen Vornamen verlor und zu er, ihn, von ihm oder durch ihn wurde.
Und wie damals sah ich jetzt die Sterne blitzen. Der erste Schlag hatte mich voll getroffen. Nein, es war der Zweite. Den Ersten hatte ich von meiner Exfrau verpasst bekommen. Und wie damals wankte ich und die Knie wurden mir weich.
„Sola quae diligimus nos occidere possunt!“
Genau die Frau, die ich so sehr geliebt hatte, dass ich nur in und mit ihr sein wollte. Noch jetzt kann ich dieses Gefühl in mir hervorrufen, als sie – vor vielen, vielen Jahren – nackt vor mir am Bett lag und ich ihr über Kopf und Gesicht streichelte und sie einfach nur ansah. Immer, wenn ich sie berührte, wurde mein Penis hart. Aber nicht aus Gier, sondern aus Sehnsucht, für immer in ihr zu sein. Die Sekunde, bevor ich in ihr wie in meinem Zuhause das Paradies spürte, voller Innigkeit und dem Wissen, wie es sich anfühlen wird, nur um jedes Mal überrascht und beglückt zu sein, dass ich die Realität noch tausendfach schöner verspürte als die Vorstellung.
Ich hätte damals dieses Gefühl niemals missen können. Auch das Wissen, dass sie eine todbringende, ansteckende Krankheit in sich getragen hätte, hätte mich nicht aufhalten können, dies zu tun. Aus der inzwischen verblichenen Gewissheit, dass das die unendliche Liebe sei.
Wieder im Hier und Jetzt musste ich mich auf eine dieser Keulen stützen, um nicht umzufallen. Der nächste Schlag traf mich voll im Genick und schleuderte meinen Kopf auf das hölzerne Ende der Keule, auf die ich mich gerade stützte und wo ich mit dem Kinn aufschlug. Ich schmeckte mein eigenes Blut und sah vor meinem geistigen Auge die beiden Flecken an der Wand an mir vorüberhuschen.
Kurze Flashes: das kleine, weinende Mädchen in der Ecke der Sitzbank. Über ihr ein hölzernes Kruzifix mit dem sterbenden Christus, darunter getrocknete Blumen in einer viel zu kleinen Vase aus Gmundner Keramik. Ich blickte auf diese Szene aus den Augen ihres Stiefvaters und fühlte Schuld.
Wieder krachte ein Hieb auf meinen Kopf. Ich sah ihre Mutter, links neben dem Tisch stehen, die Augen knallrot geweint, die Hände zu Fäusten geballt vor ihrem Mund, um ihre eigenen Schreie zu ersticken.
Ich sah meine Hände, wie ich abwechselnd die Mutter und dann wieder ihre Tochter schlug.
Und ich sah, wie die Flecken an den Wänden immer frischer und roter und feuchter wurden. Der nächste Schlag traf mich von unten und mein Kopf wurde hochgerissen. Ich sah eine Küchenlampe von der Decke baumeln, die den Raum – je nachdem, in welche Richtung sie gerade pendelte – punktuell erhellte und den Rest verdunkeln ließ.
Wie aus weiter Ferne hörte ich das blonde Mädchen zur Furie werdend brüllen und toben: „Du besoffene Drecksau! Lass meine Mama in Ruhe!“ Wieder ein Schlag: „Ich hasse dich, du Schwein! Verrecke! Stirb endlich! Lass uns endlich in Frieden! Geh weg! Ich hasse dich! Du bist ja kein Mann, du Schlappschwanz, der sich an einer Frau und einem Kind vergreift!“ Wieder ein Schlag: „Wehr dich endlich, du feiges Arschloch!“
Ihre Schläge wurden etwas schwächer und ich konnte mich aufrichten. Sie schnaubte und atmete heftig. Ihr Shirt war nass geschwitzt und aus ihren Augen liefen wieder Tränenbäche.
Ich konnte ihre nicht mehr so heftigen Schwinger mit meinen Paddeln parieren.
Und wieder sagte sie, wenn auch leiser und entkräftet: „Wehr dich doch endlich, du Arschloch!“
Ich führte einen lockeren Hieb seitlich an ihre Rippen aus. Sie riss beide Arme nach unten, um sich zu schützen. Nahezu liebevoll gab ich ihr mit meiner zweiten Keule eine Kopfnuss direkt auf den Scheitel und sie musste lachen, hob aber gleichzeitig ihre Keulen schützend vor ihr Gesicht, wodurch sie mich kurz nicht sehen konnte.
Das nützte ich, da sie breitbeinig vor mir stand, und klopfte mit einem Paddel zwischen ihren Beinen vorsichtig an ihrer Möse an, hatte dabei aber schon das zweite Paddel über ihrem Haupt in Position gebracht.
Wieder senkte sie ihre Keulen ab und bekam von mir ihre zweite Kopfnuss von oben auf den Schädel.
Aus dem Kampf war ein Spiel geworden und auch ich musste inzwischen mit Blutgeschmack im Mund schmunzeln, weil es nach dieser dramatischen Vorgeschichte skurril anzusehen war, wie sie meinen spielerischen Streichen vergeblich auszuweichen versuchte.
Als sie sich nicht mehr anders zu helfen wusste, kam sie ganz nah an mich heran, nahm mich in den Arm und atmete hektisch. Ich spürte ihren feucht geschwitzten, heißen Körper an meinem und ihre heftigen Atemzüge.
Da sie viel kleiner war als ich, beugte ich mich zu ihr hinab und nahm sie auch in den Arm, so gut es mit den plumpen Geräten an den Händen ging. Verklärt blickte sie mit trüben Augen an mir hoch, ohne mich zu erkennen, und hauchte mir ins Ohr: „Ich hätte dich retten können, wenn meine Mutter nicht da gewesen wäre. Ich habe noch nie jemanden so geliebt wie dich!“