“OpferLos” (Roman)

Christian Druxs

19,80

Autor: Christian Druxs

Das naive, auf ihre eigene Art tiefgläubige Mädchen Leni wurde während ihrer Internatszeit in der Klosterschule Opfer von Missbrauch und Vergewaltigung. Als sie mit ihrem Leid an die Öffentlichkeit geht, gerät sie zwischen die Mühlräder der “Opferkommission”, die unter dem Vorsitz der von Leni so genannten Großinquisitorin steht.
Das Verfahren insgesamt erinnert an einen Inquisitionsprozess, in dem Leni ihre furchtbaren Erlebnisse immer wieder aufs Neue durchleben muss. Von der sexuell devianten, soziopathischen Großinquisitorin werden so dramatische Manipulationsstrategien angewandt, dass sich Leni schließlich das Leben nimmt.
Ihre letzte große Liebe, Seb, ein älterer, in tiefer Sinnkrise steckender Mann, dem sie – ohne es zu wissen – das Leben gerettet hatte, findet ihre Leiche in seinem Appartement und es scheint so, als ob er nun, durch den Tod Lenis, endlich den Zweck seiner Existenz entdeckt habe: Rache.
Er begibt sich auf die Suche nach den Hintergründen und lernt die blinde Frau Magdalena, Lenis Mutter, kennen. Mit ihr beginnen seine Investigationen, die bis in höchste kirchliche Kreise führen. Auf diesem Weg begegnet ihm Thom, ein Theologiestudent und Studienkollege Lenis, der einen ähnlichen Leidensweg wie Leni hinter sich hat, der jedoch, da “Leni rein ist und er dreckig”, seinen Inquisitionsprozess überstanden hat und von der Kirche – die er selbst durch geschickte Agitation in diese Zwangslage gebracht hat – sogar sein Theologiestudium finanziert bekommt. Sein Antrieb dazu ist jedoch ausschließlich, genug Informationen zu sammeln, um sich für seine seelische, geistige und körperliche Vergewaltigung blutig zu rächen, die Täter zu Opfern zu machen und sie im Geflecht ihrer Machenschaften qualvoll ersticken zu lassen.

LESEPROBE:

Leni nannte sie die Großinquisitorin, weil sie sich in der Reihe der ihr gegenübersitzenden Würdenträger immer in der Mitte befand. Und selbst wenn, was selten vorkam, eine gerade Anzahl an Inquisitoren hinter ihren gestapelten Unterlagen am endlos langen, uralten Tisch brummten und Leni kaum eines Blickes würdigten, geschweige denn eines Wortes – außer „Sei still jetzt! Du versündigst dich!“ oder „Aus deinen Augen funkelt der Antichrist und aus deinem Munde spricht er!“ –, machte sie den Eindruck, als ob sie über alle anderen erhaben sei. Fast von einer Aura göttlichen Lichts umgeben, was aber auch am riesigen Fenster hinter ihr, das direkt auf den Nordteil des dunklen, gespenstischen Doms gerichtet war, liegen konnte. Zu jeder Jahreszeit schien das Licht von außen, mal höher-, mal tieferstehender, von links oben nach rechts unten durch das Fenster, als ob es die Großinquisitorin durchdringen wollte, oder ihre Seele erhellen. Seit nun bald schon drei Jahren hatte Leni fast jeden zweiten Mittwoch zur frühen Stunde vor diesem Tribunal zu erscheinen. In letzter Zeit noch öfter, weil es, so meinte die Großinquisitorin, Ihre Heiligkeit so wolle. Es sei rasch voranzukommen, die Sache sei nun rasch zu einem Ende zu bringen. Man könne sich da nicht so lange aufhalten und es seien nun endlich Fakten zu schaffen. „Fakten zu schaffen“, sinnierte Leni. „Fakten.“ Sie war nur mehr müde, so müde, dass sie diese gespenstische Szene nur wie im Traum, aus einer anderen Welt wahrnahm, ihre Drangsal und ihr Leid zum „was-weiß-ich-wieviel-hundertsten Male“ zu durchleben, so oft, dass es ihr schon fast egal war, was mit ihr passieren würde. Bis es sie wieder hochriss, im Bewusstsein, dass es um ihr Leben ging und vielleicht, ja sicher sogar, auch um ihre Seele.
„Wir sind alle Instrumente Gottes, Leni. Das weißt du doch, ja?“, sagte die Großinquisitorin mit mildem, fast mütterlichem Ton.
„Ja, das weiß ich.“, nickte Leni still.
„Und als seine Instrumente, auf der Suche nach einer unstillbaren Freiheit, verlieren wir uns. Wir brauchen Regeln, um der Versuchung zu widerstehen. Verstehst du mich, Leni?“
„Nein.“
„Nun, dann will ich es dir anders erklären. Wir Menschen brauchen auf dieser Welt einen Zweck, der uns leitet, sonst verlaufen wir uns. Wir werden zwar von göttlicher Gnade geführt, aber manchmal verlaufen wir uns dabei und wissen gar nicht mehr, was wir tun, ja im schlimmsten Falle sogar anrichten. Und so wie uns die Versuchung in die Irre leitet, so werden wir auch selbst oft zur Versuchung. Zu unterscheiden, wann diese vom Teufel kommt und wann vom Allmächtigen, das ist uns nicht gegeben. Und du hast viele in Versuchung geführt, Leni. Sieh dich nur an, du bist hübsch!“
Leni wurde rot im Gesicht: „Aber dafür kann ich doch nichts!“
„Nein, dafür kannst du nichts, aber es wiegt dich in einer vermeintlichen Stärke und es ist eine Prüfung für deine Eitelkeit. Und auch wenn du jetzt gleich sagen wirst, dass du nicht eitel bist, sieh dich bloß an, Leni. Allein schon wie du dasitzt. Was du anhast. Man kann so oder so hübsch sein. Man kann in Dankbarkeit für den Herrn hübsch sein und man kann hübsch sein, um in Versuchung zu führen und seinen Hochmut zu nähren. Weißt du, was Hochmut ist, Leni?“
„Eine Todsünde.“
„Ja, Leni. Eine Todsünde. – Eine Todsünde.“
Bei diesen Worten der Großinquisitorin beugte sich der neben ihr sitzende alte Mann, vor dem Leni besonders große Angst hatte, weil sie ihn von früher kannte, nach links, um der Großinquisitorin etwas ins Ohr zu flüstern. Ihre Miene wurde ernst und sie zischte ihn an: „Es hat uns nicht zu interessieren, auf wessen Meinung diese Rechtsregeln basieren, ob sie dem kirchlichen oder weltlichen Recht entspringen. Sogar hinsichtlich der Allegationen gibt Landvogt Tengler eindeutig der Verständlichkeit Vorzug gegenüber der Vollständigkeit …”